Turrini Peter

Josef und Maria

Weihnachten im Kaufhaus. Nach Ladenschluss begegnen sie einander: Josef und Maria. Die Namensvetter des biblischen Paares beugen sich nicht über das Jesuskind in der Krippe, sondern suchen vorübergehend Herberge im stillgelegten Konsumtempel, um der Einsamkeit zu entgehen. Zwei Übriggebliebene, die nichts gemeinsam haben als die freiwillige Arbeit am Hl. Abend. Der alleinstehende Josef Pribil hilft bei der Wach- und Schließgesellschaft aus, die verwitwete Maria Patzak arbeitet gelegentlich als Putzfrau. Zögernd kommen sie miteinander ins Gespräch. Sie erzählen von ihren gescheiterten Träumen und bewahrten Hoffnungen. Maria behauptet beharrlich, von ihrer Familie erwartet zu werden. Bis sie zu weinen anfängt und die Geschichte zurechtrückt. Josef lehnt als kommunistischer Freidenker den Hl. Abend kategorisch ab. Beide zählen seit ihrer Kindheit nicht zu den Bevorzugten der Gesellschaft und haben sich mit ihrem vergewaltigten Leben arrangiert. Der ehemalige Statist Josef Pribil hat einst Theaterluft inhaliert und später als Glasschleifer bei der Görz-Optik Feinstaub und Tuberkulose überstanden. Als Verfechter der kommunistischen Idee steht er als letzter Mohikaner über den Zerfall der Sowjetunion hinaus innerlich an vorderster Front. Maria war Varietétänzerin und hängt ihrem früheren Engagement in Tirana nach. Jahrelang hat sie als kleine Angestellte einer Radiofirma ihre künstlerische Vergangenheit verschwiegen. Jetzt erinnert sie sich an ihre Schönheit, die Liebe zum Tanz und spürt unerfüllte Sehnsüchte. Im Laufe des Abends werden die traurigen Christkinder übermütig. Beim Tango überwinden sie die Peinlichkeit, die das Alter für ihr Umfeld den eigenen Leib bedeutet und feiern die Geburt Jesu` im Warenhausbett. Dann geht das Licht aus. Stille Nacht, heilige Nacht. Peter Turrini verlegt den Stall von Bethlehem in ein leeres Kaufhaus. Zwei Ausgestoßene machen miteinander Bekanntschaft und identifizieren im jeweils anderen die Einsamkeit. Sie verteidigen vehement ihre Vergangenheit, behaupten tapfer ihre Gegenwart und blicken in gebeugter Haltung in die Zukunft. Das oft zitierte Bild der abgeschobenen Alten am Hl. Abend ist Wirklichkeit und durch keine falsche Idylle zu korrigieren. Doch Josef und Maria nützen die Gunst der Stunde. Sie richten sich häuslich in der glitzernden Warenwelt ein und erschaffen ein anderes Weihnachten. Ausgehungert eröffnen sie einander ihr Leben und ergreifen die Chance zur Zweisamkeit. Die Welt draußen, die sie zum menschlichen Abfall erklärt hat, wird nun ihrerseits ausgeblendet. Dass Turrini den beiden einen Stern vom Himmel holt und zu vorgerückter Stunde die Liebe einkehren lässt, ist seiner unerschütterlichen Leidenschaft und unheilbaren Unvernunft zu verdanken.

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