Franzobel

Der kurze Tag vor einer langen Nacht

Der sechsjährige Attikus Grün wurde entführt. Seine Eltern Elena und Petersind verzweifelt. Nicht nur über ihr vermisstes Kind, sondern auch über die Tatsache, dass sie selbst als Verdächtige im Fokus der Ermittlung stehen. Kriminalinspektor Rupp und sein Assistent Tischbein, die in einem brodelnden Konkurrenzverhältnis stehen, löchern die beiden mit unangenehmen Fragen. Dabei steckt Peter als Anwalt in einem brisanten Fall, in dem es um die Rückgabe eines Gemäldes an die rechtmäßigen jüdischen Erben geht. Was sollen Elena und Peter sagen? Attikus war ein Wunschkind. Ein eigenwilliges Kind. Mit eineinhalb hat er schon von der Volksgesundheit gesprochen, sein wirkliches Zuhause läge in einem Haus auf einem schönen Berg, und dort gingen Minister und Feldmarschalle ein und aus. Und schöne Frauen gäbe es und einen Hund namens Blondie. Mit zweieinhalb hat er auf ein Bild von Adolf Hitler gezeigt und gesagt, das wäre er in seinem früheren Leben. Den Volksgarten hat er in Richard-Wagner-Park umbenannt und auf dem Spielplatz Russland den Krieg erklärt. Er beschreibt den Führerbunker und schwärmt von Eva Braun. Im Kindergarten verlangt er Ariernachweise und schickt die Sprösslinge in Arbeitslager. Im Supermarkt schreit er vom Weltjudentum und der Volksgesundheit. Er weint bitterlich, weil seine Eltern keine Germanen sind. Die wiederum befürchten schon, vor dem kleinen Führer in Uniform erscheinen zu müssen und sind ratlos. Just in ihrem unschuldigen Kind feiert Hitler sein Comeback. Der erste Zweijährige, der die Weltherrschaft erlangen will. Das ist echter Franzobel! Eine fulminante Komödie, wo alles in einer verrückten Unordnung ihren Sinn ergibt. Pointiert und frech bringt Franzobel die unbewältigten Nachwehen des Holocaust verbunden mit den unterdrückten Geschwüren einer der political correctness unterworfenen Generation auf den Punkt. Und nimmt parallel dazu Themen wie Reinkarnation, Quantentheorie und Restituierung jüdischen Eigentums mit ins Spiel. Auch die Belastbarkeit familiärer Beziehungen am Rande des Hasses sind Teil der Handlung. Franzobel rollt das Geschehen entlang der kriminalistischen Verhöre in zeitversetzten Rückblicken an. Der reinkarnierte Hund Phileas der Familie agiert als Regisseur und schlichtet das Chaos der Ermittlung. Ein Schamane, der Priester Warmbein, der Psychotherapeut Wachsmuth, die tussige Reporterin Kathi Kabel und tratschende Putzfrauen mischen sich ein und schüren das Misstrauen. Immerhin wurde das Kindermädchen der Grüns aus Israel vor zwei Jahren erstickt aufgefunden. Elena und Peter werden immer mehr in die Enge getrieben und stoßen an die Grenzen ihrer Liebe zueinander und zu ihrem Kind, in dem ein Diktator steckt.

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