Franzobel

Das gelobte Land

Noah hat ein Stück über Integration geschrieben, die Festung Europa. Doch je mehr er nachdenkt, desto mehr hechelt er der Nachrichtenwirklichkeit hinterher. Sein bisher so liberales Weltbild wackelt. Die permanente Flüchtlingsdiskussion erstickt ihn, und eigenartige Gedanken kriechen aus seiner Denkhöhle, für die er sich schämt. Das Thema ist zu komplex. Er will die richtigen Fragen stellen, ans Eingemachte gelangen, in die Wunden, wo es wehtut. Ständig ist er im Disput mit Engelmaier, seiner inneren Stimme, seinem Gewissen. Seine kurdische Verlobte Sanna arbeitet für eine linke Stadtzeitung und aushilfsweise als Zimmermädchen im Hotel Europa. Dort ist sie dem rechtskonservativen Schriftsteller Tassilo von Palladino begegnet und bezichtigt ihn nun öffentlich der Vergewaltigung. Obwohl eigentlich gar nichts passiert ist. Hetzerische Personen wie Tassilo sind ihrer Meinung nach daran schuld, dass man ihren Bruder Albert, der in Syrien Tante Fatima besucht hat, kurzfristig als verdächtigen Jihadisten verhaftet hat. Noah hat so seine Zweifel. Sowohl an Sannas journalistischem Coup als auch an Alberts harmlosem Syrientrip. Die wundersame Heimkehr von Noahs Urgroßvater bringt Unruhe ins Haus. Hermann von Xanten, Sturmbannführer der SS, seit 1943 in Russland vermisst, wurde bei Bohrungen im frostigen Boden von Murmansk ausgegraben und langsam aufgetaut. Nach wissenschaftlichen Untersuchungen hat man ihn schonend mit den Grundlagen der letzten 75 Jahre vertraut gemacht. Nun soll er im zarten Alter von 180 Jahren in häusliche Pflege entlassen werden. Herman muss erst verdauen, dass der Krieg verloren ist und dass die Gefährtin seines Urenkels so gar nicht arisch ist. Sonst hat sich auch viel verändert. Kühlschränke, Waschmaschinen, schnurlose Telefone. Jeder darf seine Meinung sagen. Interessiert nur keinen. Mit dem Auftauchen von Alberts Freund Khaleb aus Syrien wird es ernst im geschützten Umfeld. Und als Noah erfährt, dass er bei der Geburt mit Tassilo vertauscht wurde, rutscht ihm gänzlich der Boden weg. War Tassilos Gedankengut immer schon in ihm? Basiert sein Leben auf einer Lüge? Franzobel schafft ein Panoptikum kontroverser Figuren: Die kurdische, linksliberale Verlobte mit Migrationshintergrund, die an die Vernunft glaubt. Ihr terrorverdächtiger Bruder, ein vermeintlich Radikaler, der dem kosmopolitischen Menschen auf die Zehen tritt. Sein als Flüchtling getarnter syrischer Freund, ein potentieller Selbstmordattentäter. Der aufgetaute Urgroßvater, der frisch und fröhlich Nazi-Sprüche von sich gibt und sich erstaunlich gut in der Gegenwart zurechtfindet. Der rechte Vordenker, der Dinge ausspricht, die der linke Nachdenker nicht zugibt, insgeheim zu denken. Das unsichtbare Gewissen, das aus dem Off alle no-goes ausspricht. Und der Schriftsteller, der lautstark menschliche Werte verteidigt und dabei seine Stimme und den Boden unter den Füßen verliert: Franzobel hat ein hoch-politisches Stück total gegen den Strich geschrieben

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