Digitale Fließbandarbeit
Eine Fabrik am Rande eines politischen Zentrums. Keine gewöhnliche Fabrik. Hier werden Texte erzeugt, am Fließband, digitale Fließbandarbeit zur Verbreitung von Meinungen über Produkte: Texte für den Online-Betrieb. Fake-User-Meinungen, Rezensionen, Kommentare, Blogbeiträge. Eine vorbildliche Firma. Eine Community, in der alles fair abläuft, in der man vieles geboten bekommt zur Verschönerung des Arbeitsalltags. Alle sind per du und beteuern das Glück, hier arbeiten zu dürfen. Bis zur fixen Anstellung. Warum aber sinkt die Arbeitsleistung rapide nach der Probezeit? Warum sind dann so viele Arbeiter unzufrieden und hassen ihren Job? Der KOPF der Firma kommt mit Kündigungen und Neueinstellungen kaum nach. ROMANA ist vom KOPF engagiert, um Forschungen durchzuführen. Die Bewerber sollen optimiert werden. Wieder einmal finden Vorstellungsgespräche statt. Nach Nummern werden die Frischlinge aufgerufen. Unter ihnen KOSTEI, die es eigentlich erstrebenswert fände, ganz in den Schriftrollen der Ältesten zu leben, doch sie braucht Geld für Strom, Miete und Softwareupdate für besagte alte Schriftrollen. Der KOPF und ROMANA beobachten über Bildschirm das Geschehen. ROMANA soll handfeste Fakten auf den Tisch legen: Welcher Bewerber mit welchen Eigenschaften bringt welche Ergebnisse. Wer ist ertragreich, wer nicht. ROMANA experimentiert unter anderem mit Nahrungsergänzungsmittel im Team. Doch ihre Analysen und Datensammlungen lösen für den KOPF nicht das Problem der sinkenden Motivation. Er will schnelle Erkenntnisse. Die Firma boomt, die Nachfrage steigt, er braucht echte „Beißer“: Abhängige Erfüller, die sich ihren Abschluss hart erarbeiten mussten. Unzuverlässige Arbeiter kosten Unsummen. Parasiten schmälern den Gewinn. Die Spreu muss vom Weizen getrennt werden. ROMANA erkennt, dass Menschenoptimierung nicht möglich ist: Nicht die Arbeitsbedingungen, die Arbeit an sich führe zu Kündigungen. Die Menschen hätten das Gefühl, mit ihren manipulativen Texten etwas Sinnloses zu machen. Die Lösung wäre eine intelligente Textmaschine, die sich nicht krankschreiben lässt und keine Toiletten verstopft. ROMANAS Ergebnis ist für den KOPF unbefriedigend: ROMANA braucht mehr Zeit. Und die wird ihr nicht gegeben. Sie ist zum Feindbild geworden. Die Firma ist im absoluten Höhenflug, auch ohne ihre weisen Analysen. Mitten in diesem Laufradleben ist die Sehnsucht nach einer Beziehung außerhalb der Fabrikmauern entstanden. KOSTEI fühlt sich in diesem lebenslänglichen Getriebe erdrückt. Auch wenn ihr die Firma das Softwareupdate für die Schriftrollen schenkt. Sie fühlt sich überwacht, und das wird sie auch. Sie sucht ROMANAS Nähe. Und findet ihre Gefühle erwidert. Doch kurz vor der Erfolgsparty wird ROMANA gekündigt und verschwindet von der Bildfläche. Eine Stück Zukunftsvision in der Gegenwart oder bereits in der Gegenwart angekommen? Petra Maria Kraxner hat die Lösung von der materiellen Arbeit hin zur Digitalisierung wieder auf den Kopf gestellt. Die virtuelle Arbeit wird zum Fließbandjob: Der Mensch im Getriebe verliert sich genauso wie bei stumpfsinniger manueller Arbeit. Nur, dass er sich noch nutzloser fühlt, weil er ins Nichts hinein produziert, seine Arbeit ist nicht greifbar, sie wird nicht gebraucht, es gibt kein Ergebnis. Er unterliegt denselben Mechanismen in der Hierarchie von oben und unten. Die Virtualität hat die Arbeit ersetzbar gemacht und produziert genauso Arbeitslose und Arbeitssuchende. Menschen, die auf der Strecke bleiben, in den Prozess aufgenommen und wieder ausgespuckt werden aus dem System, wenn sie die geforderte Leistung nicht erbringen und somit die Kosten steigern. Mach Platz für diejenigen, die gebraucht werden, hör auf CO2 zu produzieren, geh sterben und das bitte dalli dalli, die Welt braucht dich nicht mehr.
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